 
  
  Grundwissen Grammatik
Der grammatische Wechsel im Mittelhochdeutschen bezeichnet den Wechsel der Konsonanten d → t, f → b, h → g, s → r in Wörtern und Wortformen, die etymologisch zusammen gehören – das gilt auch für Substantive, wie der vrost zu vrieren, der hevel zu heben, der snit zu snîden, der zuc★ / zug zu ziehen.
   Im Verbbereich tritt der grammatische Wechsel  relativ häufig auf bei den verschiedenen Stammformen in den Ablautreihen Ia [d → t], Ib [h →g],  IIb [h →g, d  → t, s → r], V [s → r], VI [h →g, v/f → b], gelegentlich auch in Reihe VIIa  [ h → g]. 
   d → t: kommt hauptsächlich bei AR Ia und IIb vor - snîden → sniten
   v/f → b: kommt selten und dann nur in AR VI vor -  heven →   houben 
   h → g: kommt fast überall vor -  ziehen →  zugen.
   s → r:  tritt  schwerpunktmäßig bei AR IIb und AR V auf -  wesen → wâren
v → b:
   heven ( AR VI)
   werven (AR IIIb)
   d → t:
   brîden (AR Ia), 
   lîden (AR Ia), 
   mîden (AR Ia) 
   nîden (AR Ia
   snîden (AR Ia), 
   sieden (AR IIb), 
   vinden (AR IIIa), 
   werden (AR IIIb) 
 
h → g:
entpfâhen (AR VIIa), 
gewahen (AR VI), 
   hâhen (AR VIIa), 
   jehen (AR V), 
   lîhen (AR Ib), 
   rîhen (AR Ib),  
   schehen (AR V), 
   sehen (AR V), 
   sîhen (AR Ib), 
   slahen (AR VI), 
   (ver)swelhen (AR IIIb), 
   twahen (AR VI), 
   vâhen (AR VIIa), 
   vliehen (AR IIb), 
   wîhen (AR Ib), 
   ziehen (AR IIb), 
   zîhen (AR Ib),
s → r:
   genesen (AR V), 
   jesen (AR V), 
   kiesen (AR IIb), 
   lesen (AR V),  
   rîsen (AR Ia), 
   verliesen   (AR IIb), 
   vriesen (AR IIb), 
   wesen (AR V)
Vorkommen:
Es gibt Verben, bei denen der grammatische Wechsel zugunsten des Infinitivkonsonanten bei manchen Autoren bereits ausgeglichen ist bei anderen nicht: So ist beispielsweise zum Verb „lesen“ als Präteritumsform im Plural sowohl „lâren“ als auch „lâsen“ nachweisbar.
Im Althochdeutschen gibt es noch mehr Verben mit grammatischem Wechsel, z. B. werden, AR IIIb: wërdan - wirdu - ward - wurtum - wortan; oder vinden, AR IIIa, findan, fand, funtum, funtan.
★In der 1. und 3. Person Singular Präteritum  der starken Verben   tritt aber ein weiteres Phänomen auf: 
    Die Auslautverhärtung
Auslautendes  b, d, g wird verhärtet zu p, t, c (k, bair. ch)
b → p:  des lîbes – der lîp; geben – gap
   d → t:  des leides – daz leit; binden – bant
   g → k (c): des tages – der tac; biegen – bouc
  Keine Auslautverhärtung liegt vor bei:
  h → ch:    sehen → sach → sâhen → gesehen
  Nicht betroffen von einer möglichen  Auslautverhärtung im Verbbereich ist allein die Ablautreihe Ib.
So ergeben sich in der Kombination von grammatischem Wechsel und Auslautverhärtung folgende Stammformreihen:
d → t: snîden → sneit → sniten → gesniten (AR Ia); sieden → sôt → sotten → gesotten (AR IIb)
   f → b: heven → huop  → huoben → erhaben (AR VI)
   h → g: slahen → sluoc → sluogen → geslagen (AR VI)
Die Auslautverhärtung beschränkt sich allerdings nicht auf die 1. und 3. Person Singular im Präteritum, sondern tritt auch bei Imperativformen der 2. Person Singular der starken Verben auf, wenn sie endungslos gebildet werden:
b → p:   geben → gip
   d → t: binden → bint; 
   snîden → snît; 
   vinden → vint
   g → k (c) / ch : biegen → biuc
Laut Weinhold (1883, § 371) wird der Imperativ der Verben der AR VI in der Regel mit Endungs-e gebildet (hebe, trage, grabe, lade, schaffe, twahe, wahse), ebenso wie die j-Präsentien der AR V (bitte, sitze, lige), Ausnahmen: mal, var, swer und slah oder sla. Auch bei anderen Ablautreihen kann laut Weinhold die Endungslosigkeit des Imperatives zugunsten vermehrter Reimmöglichkeiten aufgegeben werden. Dann erfolgt natürlich keine Auslautverhärtung.
Schließlich kommt Auslautverhärtung am Silbenende auch bei schwachen   und "rückumlautenden"    Verben vor:
   b → p: gelouben  → geloupten; sterben → starpten
   d → t: zünden  → zunten; belden  → balten [mit Ekthlipsis  ]
   g → k (c): neigen  → neicten; zermengen → zermancten
Bitte beachten: Laut Paul § L 72.2 gilt die Auslautverhärtung bei d → t als  „nahezu durchgängig für das gesamte Mhd.“ daher ist in der 1./ 3. Singular Indikativ Präteritum sowie auch im Singular Imperativ generell mit t zu rechnen.
   Seltener sind b → p, g → c, im Bairischen ch, in Handschriften zu  finden. 
 
Siehe auch weitere Lautphänomene