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Mit­tel­hoch­deutsch: Die Präterito-Präsentia

Präterito-Präsentia

Es handelt sich um eine begrenzte Gruppe von Verben:

,
[AR: I],
[AR: II],
,
,
,
,
[AR: III],
[AR: IV],
[AR: V],
[AR: VI].

Sie haben im Präsens die Formen des Präteritums - meist mit Ablaut zwischen Singular und Plural, daher lassen sie sich auch den Ablautreihen zuordnen.

Dabei werden allerdings manche Vokale verändert. Das Präteritum dieser Verben wird schwach   und dabei relativ unregelmäßig gebildet: durfen → dorfte; turren → torste; mugen → mohte / mahte, aber z. B. kunde / konde; gunde / gonde; sulde / solte

Wie im Präteritum der starken Verben   sind im Präsens 1. und 3. Person im Singular in der Regel endungslos.
Die 2. Person Singular endet in der Regel auf -t oder -s oder -st und hat denselben Vokal wie die 1. und 3. Person Singular.
Der Vokalbestand der Konjunktivformen im Präsens orientiert sich an den Vokalen der 1. Person Plural: wir kunnen, ich / er kunne [Konjunktiv I] ↔ ich / er kan [Indikativ]

Die Präterito-Präsentia - kunnen, durfen, suln, turren, mugen, müezen - sind fast deckungsgleich mit den Modalverben - nicht passivfähig und folgender Infinitiv ohne „ze“.
Allerdings zählt „wizzen“ nicht zu den Modalverben, während „wellen“ zu den Modalverben gerechnet wird.

ist aber kein Präterito-Präsentium! Das Wort lässt sich aber analog zu dieser Gruppe darstellen, deshalb wird es auch häufig bei dieser Verbgruppe aufgeführt. Ihm liegen keine Prä­te­ri­tal­for­men, sondern alte Op­ta­tiv­for­men zugrunde, vgl. die Entwicklung des neuhochdeutschen Verbs möchten, abgeleitet vom Konjunktiv II des Verbs mögen, hier mugen.

Die zu den Präterito-Präsentien präfigierten Verben - bedurfen, vermügen, übermügen usw. - flektieren wie ihre Basisverben, werden aber im Allgemeinen als Vollverben verwendet.


 
Präsens
AR 1. / 3. Person Singular (1) 2. Person Singular (2) 1. / 3. Person Plural (3) Konjunktiv I (3)
Ia weiz weist wizzen wizze
I eige eigen eige
IIa touc tugen, tügen(4) tuge, tüge
IIIa ban banst bunnen bünne
IIIa gan ganst gunnen, günnen(4) gunne, günne
IIIa kan kanst kunnen, künnen(4) kunne, künne
IIIb darf darft durfen, dürfen(4) durfe, dürfe
IIIb tar tarst turren, türren(4) turre, türre
IV sol, sal(5) solt, salt soln, suln, süln(4)(6) sul(l)e, sol(l)e
V(7) mac maht(9) magen, megen, mügen(4)(7) mage, mege, müge
VI muoz muost muozen, müezen(4) muoze, müeze

(1) Die 1. und 3. Person sind endungslos - wie starke Verben im Präteritum.

(2) Die 2. Person Singular Indikativ Präsens hat überwiegend die Endung -t (du solt), aber auch Endungslosigkeit (du darf) und -(e)s(t) sind möglich. Der Vokal ist im Gegensatz zu Präteritalformen starker Verben der gleiche wie in den übrigen Singularformen.

(3) Im Präsens Plural tritt ein numerusbezogener Vokalwechsel auf, der dem Präteritum-Ablaut der starken Verben entspricht. Das hat Folgen für den Konjunktiv I: Er wird auf Basis der Pluralformen gebildet.

(4) Der Umlaut ist hier kein Kennzeichen für den Konjunktiv, er tritt auch im Plural Indikativ mancher Präterito-Präsentia auf. Seine Ursache ist umstritten.

(5) Das eigentliche a des Singular Präsens wird schon im Spätalthochdeutschen zu o gehoben.

(6) Im Plural tritt statt der eigentlichen Dehnstufe der Ablautreihe IV (vgl. nâmen) eine Schwundstufe mit u auf, die auch zu o gesenkt werden kann.

(7) Die Zuordnung von mügen zu Ablautreihe V ist fraglich, da der Plural Präsens nicht die zu erwartende Dehnstufe (vgl. wâren) aufweist.

Ablautreihe Präteritum(8) 1. Person Singular Präteritum Konjunktiv (13) Neuhochdeutsch
Ia wisse, wesse(10), wiste, weste, wuste wissen, verstehen, kennen
IIa tohte(11)(9) töhte wagen, sich unterstehe, sich getrauen.
haben, erworben haben, zum Eigentum haben
IIIa bunde(12) bünde, bunde unklar
IIIa gunde(12) günde, gunde gönnen, vergönnen, erlauben, gewähren
IIIa kunde, konde(12) künde, kunde geistig vermögen, wissen, kennen, verstehen  
IIIb dorfte(11) dörfte brauchen, bedürfen
IIIb torste(11) törste wagen, sich getrauen
IV solde, solte, sulde, sulte(6)(11) sölde, solte

verpflichtet, bestimmt sein, angemessen sein,gebühren, nützen

V mahte, mohte(9)(11) mehte, möhte kräftig, wirksam sein, vermögen, können
VI muose(10), muoste muose, muoste mögen, sollen, können, dürfen

(8) Das Präteritum wird den schwachen Verben analog mit Dentalsuffix gebildet, ausschließlich ohne Vokal vor der Endung

(9) Primärberührungseffekt: g, c wird zu h vor t.

(10) Primärberührungseffekt: z[z] wird vor t zu s(s). Formen mit t erklärt Paul, § L 66, mit Angleichung an die regelmäßige Personalendung.

(11) Die Verben durfen, mügen, soln, tugen und turren haben einen Vokalwechsel zwischen Präsens Plural und den Formen des Präteritums - Senkung des schwundstufigen u zu o.

(12) Bei Verben, die sich Ablautreihe IIIa zuordnen lassen, kann es zu einem Präteritum mit o kommen. Man nimmt eine Übernahme der Senkung an, die vor Nasal+Konsonant eigentlich unterbleibt, in Analogie zu dürfen → dorfte.

(13) Entgegen dem neuhochdeutschen Prinzip, nach dem in der schwachen Konjugation kein Umlaut auftritt, zeigen die Konjunktivformen des Präteritums (K II) der Präterito-Präsentien dennoch einen i-Umlaut. Dieser Umlaut lässt sich historisch auf ein suffixales -i- zurückführen, das im Althochdeutschen in der Konjunktivbildung teilweise noch produktiv war. Bei den präteritopräsentischen Verben (z. B. kunnen, mugen) führte dieses historische -i- zu den entsprechenden Umlautformen, die sich in den modernen Konjunktivformen, z. B. könnte, möchte, fortgesetzt haben.
„Demgegenüber kennt das Mhd. drei Domänen mit Umlaut: [...] b) Praterita von Prateritoprasentien, z. B. kunnen / künde; …“ BRAUNE, Wilhelm. Althochdeutsche Grammatik. 17. Auflage. Neu bearbeitet von Frank Heidermanns. 1886, S.392 f., § 322 (M 3.2.2.2), Anm. 3


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