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Mit­tel­hoch­deutsch: Ab­laut

Ablaut

Unter „Ablaut“ wird in indoeuropäischen Sprachen der nach Regeln verlaufende Wechsel des Vokals (Tonvokal / Stammvokal) – damit sind auch Diphtonge und Um­laute gemeint – in verwandten Wörtern, besonders aber in den verschiedenen Tempora der starken Verben verstanden. 

Der Ablaut ist nicht nur auf die Verben beschränkt, sondern tritt auch bei anderen Wörtern auf, zum Beispiel bei den neuhochdeutschen Nomina „der Bund“, „das Bündnis“, „das Band“, ,,die Bande“, „der Verband“, „die Binde“ usw.

Auch bei neuhochdeutschen Verben gibt es noch den Ablaut: „fahren“,  „ich fuhr“, „wir sind gefahren“ – oder „singen“,  „ich sang“, „wir haben gesungen“.
Allerdings gibt es im Neuhochdeutschen bei den starken Verben neben dem Infinitiv nur noch zwei Ablautstufen: im Präteritum und im Partizip II.
Im Mittelhochdeutschen gibt es bei diesen Verben neben dem Infinitiv vier Stufen: Infinitiv („helfen“) - Präsens („ich hilfe“) - Präteritum Singular („ich half“) - Präteritum Plural („wir hulfen") - Partizip II („geholfen“) , sodass man sich jeweils vier weitere Formen zu einem Infinitiv merken muss.
[Der mögliche Vokalwechsel zwischen Infinitiv und Präsens-Singular-Formen, hat an sich nichts mit dem Ablaut zu tun, sondern wird 'e-i' bzw. 'ie-iu'-Wechsel genannt. - Gelegentlich tritt auch noch Umlaut bei der 2. und 3. Person Singular auf!]

Grenzen der Einordnung >>>mehr Man sollte sich jedoch stets auch der Grenzen der Zuordnung von Wörtern zu bestimmten Ablautreihen bewusst sein.
Für die Zuordnung von Verben in die einzelnen Ablautreihen ist oft nicht allein der Infinitiv-Vokal ausschlaggebend, häufig sind auch die Präteritumsformen von Bedeutung:
Wenn man das Verb "spîwen" - Ablautreihe Ib - betrachtet, fällt auf, dass neben dem Präteritum "spê", auch ein Präteritum "spei" nachweisbar ist, "ei" ist allerdings im Präteritum das Kennzeichen der Verben der Ablautreihe Ia! Folglich muss man das Verb spîwen eigentlich beiden Ablautreihen zuordnen.
Beim Verb "pflegen" lautet das Partizip II der Grammatik nach "gepflegen", damit gehört es zur Ablautreihe V. Jedoch ist in etwas jüngeren Texten nicht selten ein Partizp II nachweisbar, das "gepflogen" lautet. Damit gehört das Verb dann in die Ablautreihe IV.
Grundsätzlich muss man sagen, dass auch in der Zeit des Mittelhochdeutschen sich die Sprache verändert hat und dass die Autorinnen und Autoren nicht in einer Grammatik nachgesehen haben, bevor sie ein Wort verwendeten.

Es hat sich eingebürgert, dass man die mittelhochdeutschen Ab­laut­rei­hen in sieben Klassen einteilt.
In den Ausgaben der „Mittelhochdeutschen Grammatik“, die auf Hermann Paul zurückgehen, werden folgende Ablautklassen unterschieden:

Ab­laut­rei­he Kenn­zeich­nen­der Vo­kal Fol­ge­kon­so­nan­ten
Ia î - î - ei - i - i alle, außer h und w
Ib î - î - ê - i - i h und w
IIa ie (iu) - iu - ou - u - o alle, außer d, s, t, z und h
IIb ie (iu) - iu - ô - u - o nur mit d, s, t, z und h
IIIa i - i - a - u - u n, m + Kon­so­nant
IIIb e (i) - i - a - u - o l, r + Kon­so­nant
IV e (i) - i - a - â - o Wort enthält l m, n, r
V e (i) - i - a - â - e einfacher Kon­so­nant außer l m, n,  r
VI a (e) - a - uo - uo - a keine Aussagen zu Kon­so­nan­ten
VIIa a, â, ei - a, â, ei - ie - ie - a, â, ei keine Aussagen zu Kon­so­nan­ten
VIIb ô, ou, uo - ô, ou, uo - ie - ie - ô, ou, uo keine Aussagen zu Kon­so­nan­ten

Hier sieht man, dass die Betrachtung der Fol­ge­kon­so­nan­ten beziehungsweise Stammkon­so­nan­ten zu einer weiteren Differenzierung bei den Ab­laut­rei­hen geführt hat. Allerdings werden nicht alle Vokal-Kon­so­nan­ten-Kombinationen hiermit erfasst, einiges wird bei H. Paul als Ausnahme beziehungsweise Sonderfall erwähnt.

Jüngere Autoren gehen deshalb noch ein paar Schritte weiter. Beate Henning unterteilt die Ablautklassen II, IV und VII folgendermaßen:

Ab­laut­reihe Kenn­zeich­nen­der Vo­kal Fol­ge­kon­so­nan­ten
IIa ie (iu)

alle, außer d, s, t, z und h

IIa (α) û
IIa (β) iu w
IV e (i) + l, m, n
IV (α) e (i) r, ch / l, r vor dem Vokal
IV (β) o m (komen)
VIIa a

„alte“ VII-a-Reihe

VIIb â
VIIc ei
VIId ô

„alte“ VII-b-Reihe

VIIe ou
VIIf uo

Die Differenzierung der Ab­laut­rei­hen VIIa und VIIb findet sich auch im Arbeitsbuch „Mittelhochdeutsch als fremde Sprache“, Klaus-Peter Wegera et al.

Alle Einteilungen haben ihre Vor- und Nachteile:

  1. Will man die Ab­laut­rei­hen in einem Com­pu­ter­pro­gramm um­setzen, ist die Aus­dif­fe­ren­zie­rung wie von Henning sehr hilf­reich.
  2. Geht es darum, sich die Hauptmerkmale der Ab­laut­rei­hen ein­zu­prägen, ist die grö­bere Ein­tei­lung von Vor­teil.
  3. Schließlich ist zu fragen, ob man sich lieber ein Regelsystem mit einigen Ausnahmen merken will oder ob es sinnvoll ist, jede Ausnahme gegebenenfalls in eine eigene Ab­laut­rei­he einzuordnen.

Das vorliegende Programm "Trai­ning der In­fini­tiv­be­stim­mung" hat sich an seiner Oberfläche jedenfalls an der Einteilung der Mittelhochdeutschen Grammatik von Hermann Paul et al. orientiert.
Intern wird mit einem differenzierteren Modell gearbeitet, dem auch noch ein paar weitere Beobachtungen zu den auftretenden Kon­so­nan­ten hinzugefügt wurden:

Ia î  î ei  i i Alle Kon­so­nan­ten außer h (und w), jedoch auch ch ist möglich
Ib î  î ê  i i Stamm en­det auf h oder w - gram­ma­ti­scher Wechsel möglich. Im Prä­teri­tum Sin­gu­lar erscheint dann ch, w fällt weg. Im Plural des Prä­teri­tums erscheinen oft g oder w als sig­ni­fi­kan­te Kon­so­nan­ten.
IIa ie  iu ou  u o Stamm en­det nicht auf d, t, s, z oder h; ie-iu-Wechsel im Prä­sens; Par­ti­zip mit o! Ggf. Um­laut ü im Prä­teri­tum
IIaa iu  iu ou  u û Stamm en­det nicht auf d, t, s, z oder h, aber auf w; Par­ti­zip mit û! Ggf. Um­laut ü im Prä­teri­tum
IIab û  û ou  u o / ou / û Stamm en­det nicht auf d, t, s, z oder h; Par­ti­zip mit o / ou / û! Ggf. Um­laut ü im Prä­teri­tum
IIb ie  iu  ô  u o Stamm en­det auf d, t, s, z oder auf h; ie-iu-Wechsel im Prä­sens; ggf. Um­laut ü im Prä­teri­tum
IIIa i  i a  u u Stamm en­det auf m, n+Kon­so­nant, Um­laut ü im Prä­teri­tum
IIIb e  i a  u o Stamm en­det auf l, r + Kon­so­nant, 'e-i'-Wechsel im Prä­sens, ggf. Um­laut ü im Prä­teri­tum
IV e  i a  â o Stamm enthält einfachen Nasal oder Liquid: l, m, (n), r. Konkret: VOR dem Vokal stehen l, r, t, w. NACH dem Vokal stehen l, m, r - evt. (c)h;  'e-i'-Wechsel im Prä­sens; ggf. Um­laut æ (e) im Prä­teri­tum
IVx o  u a  â o Fol­ge­kon­so­nant: m („komen“) ; ggf. Um­laut æ (e) im Prä­teri­tum
V e  i a  â e Stamm en­det auf einfachen Kon­so­nan­ten, außer auf  l, m, n, r; 'e-i'-Wechsel im Prä­sens; ggf. Um­laut æ (e) im Prä­teri­tum
Vx i  i a  â e Stamm en­det auf einfachen Kon­so­nan­ten, außer auf  l, m, n, r; ggf. Um­laut æ (e) im Prä­teri­tum
VI a  a uo  uo a 'a-e'-Um­laut im Prä­sens in der 2. und 3. Per­son; ggf. Um­laut üe im Prä­teri­tum
VIx e  e uo  uo a ggf. gram­ma­ti­scher Wechsel; ggf. Um­laut üe im Prä­teri­tum
VIy e  e uo  uo o Verb mit Stammvokal e,  Par­ti­zip II mit o! („swern“)
VIIa a  a ie  ie a Fol­ge­kon­so­nant l, n, r; Um­laut - e - im Prä­sens in der 2. und 3. Per­son un­ter­bleibt zu­wei­len
VIIb â  â ie  ie â Fol­ge­kon­so­nant f, g, h, s, t, z; Um­laut - æ (e) - im Prä­sens in der 2. und 3. Per­son un­ter­bleibt zu­wei­len
VIIc ei  ei ie  ie ei Fol­ge­kon­so­nant d, f, s, t, z
VIId ô  ô ie  ie ô Fol­ge­kon­so­nant t, z; Um­laut - œ - im Prä­sens in der 2. und 3. Per­son un­ter­bleibt zu­wei­len
VIIf ou ou ie  ie uo Fol­ge­kon­so­nant f, w; Um­laut - öu - im Prä­sens in der 2. und 3. Per­son un­ter­bleibt zu­wei­len
VIIe uo  uo ie  ie ou Fol­ge­kon­so­nant f; Um­laut - üe - im Prä­sens in der 2. und 3. Per­son un­ter­bleibt zu­wei­len

Hinweis:
Vorsicht! Im originalen Lexer, auch in der verfügbaren online Version, werden die Klassen anders als heute bezeichnet.


Lexer
stv. stv. red. (urspr. re­du­pli­zie­ren­de Ver­ben): 
I,1 I,2 I,3 I,4 II III I,1; I,2; I,4; II, III
Heu­ti­ger Stan­dard V IV III VI I II VII (urspl. re­du­pli­zie­ren­de Ver­ben)

Die Verteilung starker Verben nach Ablautreihen

Die kleinste Gruppe ist die AR Ib mit etwa 1,45 %, die zweitkleinste die AR VIIb mit circa 3,66 % aller starken Verben.
Den dritten Platz belegt die AR IIa mit etwa 7,03%.
Das Mittelfeld besteht aus den Ablautreihen IIb, IIIb, IV, VI, VIIa, V – zwischen 8,48 % und 10,72 %.
Die zweigrößte Gruppe bildet die AR IIIa mit etwa 11,64 %
Die größte Gruppe ist die AR Ia mit ungefähr 18,58 % aller erfassten starken Verben.


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