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Mit­tel­hoch­deutsch: Kontraktion

Kontraktion

Kontrahierte Silben treten auf bei inlautendem H, vân statt vâhen, oder den inlautenden Silben -ige-, -ibe-, -ide-, -ege-, -ebe-, -ede-, -age-, gelegentlich auch -ade-. Außerdem: lân statt lâzen.
Also muss man mit Kontraktion rechnen bei Silben, die "b","d", "g", "z" oder "h" enthalten.

Die durch Kontraktion entstandenen Vokale und Diphthonge können verschiedenste Ausgangspunkte haben, die Tabelle veranschaulicht die Kontraktionsergebnisse:

Es ent­steht … aus … In­fi­ni­tiv, star­ke Ver­ben Vol­le Form Kon­tra­hier­te Form In­fi­ni­tiv, schwa­che Ver­ben Vol­le Form Kon­tra­hier­te Form Wei­te­re be­trof­fe­ne Ver­ben
ei age tra­gen tra­get treit sa­gen ge­sa­get ge­seit be­ha­gen, be­ta­gen, ja­gen, kla­gen, ver­da­gen, ver­za­gen, wa­gen
ege tra­gen tre­get treit le­gen ge­le­get ge­leit re­ge­nen, se­ge­nen, be- / ûz­we­gen
ede re­den re­de­te rei­te
ige pfle­gen pfli­get pfleit li­gen
âhe ent­pfâ­hen ent­pfâ­het ent­pfeit  
æhe ent­pfâ­hen ent­pfæ­het ent­pfeit
ahe sla­hen sla­het sleit twa­hen
ê/e ede re­den re­de­te ret(te)
abe ha­ben ha­be­te het(te)
ihe se­hen si­het sêt je­hen, be- / ge­sche­hen
ehe se­hen ge­se­hen ge­sên je­hen, be- / ge­sche­hen, tre­he­nen
âhe ent­pfâ­hen ent­pfâ­het ent­pfêt
æhe ent­pfâ­hen ent­pfæ­het ent­pfêt
ahe sla­hen sla­het slêt
ebe ge­ben ge­ben gên
êhe vlê­hen vlên lê­he­nen
î ige pfle­gen pfli­get pflît ge­swi­gen > ge­swîn
ide que­den qui­det quît
ibe ge­ben gi­bet gît
ihe se­hen si­het sît
ehe se­hen se­hen sîn
â/a abe ha­ben ha­bet hât ent­ha­ben
abe ha­ben ha­be­te hat(te)
âhe ent­pfâ­hen ent­pfâ­hen ent­pfân hā­hen > hân, vā­hen > vân, sâ­hen (Prät.) > sân
ahe sla­hen sla­hen slân
âze lâ­zen lâ­zet lât
ie ige pre­di­gen pre­di­get pre­diet
ihe se­hen si­het siet
ehe se­hen se­hen sien
iehe vlie­hen vlie­het vliet
îhe zie­hen zî­het ziet wî­he­te wie­te ge­dî­hen
æ æze lâ­zen læ­zet læt
æhe smæ­hen smæ­he­te smæ­te ver­smæ­hen

Tabelle nach: KLEIN, Thomas, Hans-Joachim SOLMS, Klaus-Peter WEGERA, 2018. Mittelhochdeutsche Grammatik Teil II Flexionsmorphologie, Berlin, Boston, Seite 947 - 948

So in etwa die klassische Lehre. Bei einer Lexikonrecherche ergeben sich noch weitere Silben, für die kontrahierte Formen nachweisbar sind:
- â steht für auch für ade
[schadet|schât]
- æ steht gelegentlich für æje, ahe oder ehe
[blæjen|blæn, mahelen|mælen, stahelen|stælen]
- ê kann ege oder æje ersetzen
[negelen|nêlen, blæjen|blên]
- î steht auch für ebe, ege, iege, aber auch für îge, îde
[lîden|lîn]
- iu steht gelegentlich für iuwe
[kiuwen|kiun]
- öu steht gelegentlich für öuwe
[töuwen|töun]
- ou steht gelegentlich für ouge, ouwe
[lougen|lounen, trouwen|troun]

Kontrahierte Formen sind sowohl bei starken als auch bei schwachen   Verben möglich. Bei starken   Verben treten diese Formen besonders häufig im Präsens, bei schwachen Verben gerne im Präteritum und beim Partizip II   auf. Oft ist davon die 3. Person Singular betroffen. Im Mitteldeutschen sind kontrahierte Formen noch verbreiteter als im Oberdeutschen.

Starke Verben mit Kontraktion gehören oft der Ablautreihe   V, z. B. "geben" oder "ligen", beziehungsweise den Ablautreihe VI, z. B. "tragen" oder VIIa, z. B. "entpfâhen", an.

Die Kontraktion gilt manchen als ein typisches Merkmal mittelhochdeutscher Texte: lân und hân sowie sîn, gân, stân (keine Kontraktionen) prägen tatsächlich häufig das Erscheinungsbild des Mittelhochdeutschen.


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