Grundwissen Grammatik

Mittelhochdeutsch zum Nachschlagen und Lernen

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Mit­tel­hoch­deutsch: Ein­zel­ne Laut­phä­no­me­ne

Bereich Vokale

• Apokope:
Vokalschwund im Auslaut infolge der Nebensilbenabschwächung: ich vare → ich var;  ich lebe → ich leb

• Synkope:
Vokalschwund in Nebensilben zwischen Konsonanten, insbesondere nach Liquiden l, r, wenn vorangehender Vokal kurz ist: varen → varn; helen → heln; er sihet → er siht

• Kombinatorischer, also durch Folgelaute bedingter Lautwandel* im Mittelhochdeutschen:

› Umlaut als i-Umlaut:
Während die Umlautung von a → e als Primärumlaut bezeichnet wird, gelten die Umlautungen nach ä, ö, ü, æ, ê, œ, öu, üe als Sekundärumlaute bzw. Restumlaute – weil sie erst später eingetreten sind bzw. sie erst spät in Handschriften systematisch bezeichnet wurden:

Betrifft:


Ursache: vormittelhochdeutsch i, j in der Folgesilbe

Folgen:
◊ Starke Verben:
♦ Präsens – AR VI und VII (7a, 7b, 7d, 7e, 7f): 2. und 3. Person - graben - du grebst, halten - er helt, stôzen - er stœzt … ruofen - er rüefet
♦ Präteritum – AR IIa, IIb, IIIa, IIIb, IV, V, VI: 2. Person Singular und sämtliche Konjunktiv-II  -Formen - biegen - er büge, bieten - er büte, singen - er sünge, helfen - er hülfe, nemen - er næme, geben - er gæbe, graben - er grüebe
◊ Schwache Verben:
♦ Präsens: ‚Rückumlautende‘ Verben - nennen
♦ Präteritum: Konjunktiv-II der ‚rückumlautenden‘ Verben, primär im Mitteldeutschen - er nennte
♦ Möglich auch bei Partizip-II-Formen   der ‚rückumlautenden‘ Verben, primär beim Gebrauch als Verbform, zum Beispiel im Perfekt, ich hân genennet, weniger bei adjektivischer Verwendung, dort häufiger genant.

› Hebung **

a) ‚e/i‘-Wechsel

Betrifft: e → i

Ursache: voralthochdeutsch i, j ,u in der Folgesilbe oder folgender Nasal  +Konsonant

Folgen:
◊ Starke Verben im Präsens:
♦ AR IIIb, IV, V: 1., 2. und 3. Person - ich hilfe, ich spriche, ich gibe
♦ AR IIIa: Durchgehend i im Indikativ - ich binde, du bindest …

b) ‚ie/iu‘-Wechsel

Betrifft: ie → iu, eigentlich aber germ. /eu/ zu ahd. /iu/ → mhd. iu /ü:/

Ursache: voralthochdeutsch i, j, u, w in der Folgesilbe

Folgen:
◊ Starke Verben im Präsens:
♦ AR IIa und IIb, im Singular - ich biuge, ich biute
♦ AR IIa - durchgehendes iu im Präsens bei Verben mit w: bliuwen, kiuwen, riuwen usw.

› Senkung ** (Brechung), alternativer Begriff ‚a-, (e-, o-) Umlaut‘

Betrifft: u → o (1) und germanisch /eu/ zu ahd. eo, io, ie → mhd. ie (2)

Ursache: Grundsätzliche Senkung von germanisch u → o, wenn germanisch a, e ,o in der Folgesilbe und kein Nasal [m, n] dazwischen steht.

Folgen:
◊ Partizip II der starken Verben:
♦ AR IIa, IIb, IIIb, IV – das Partizip Präteritum   endet ahd. auf „-an“! - gebogen, geboten, geholfen, gesprochen (1) Deshalb wird das „u“ der Schwundstufe nach „o“gesenkt.
♦ [AR IIIa: Der Nasal vor „-an“ verhindert Senkung ⇒ „gesungen“, „gebunden“.]
◊ Starke Verben im Plural Präsens:
♦ AR IIa und IIb - wir biegen, wir bieten (2)
♦ [Gegenerscheinung: Die Pluralendung der Verben in der 1. Person Präteritum lautet ahd. „-un“, deshalb bleibt „u“ der Schwundstufe in den AR IIa, IIb, IIIa, IIIb erhalten - wir bugen, wir buten, wir bunden, wir hulfen]
◊ Präsens → Präteritum bei würken / vürhten
♦ Das ü (u) wird bei würken im Präteritum zu o gesenkt: worhten
♦ Das ü (u) wird bei vürhten im Präteritum zu o gesenkt: vorhten

Genaueres, siehe JOCHEN CONZELMANN, „Erläuterungen zur mittelhochdeutschen Grammatik“ bei Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. Deutsches Seminar, Germanistische Mediävistik, abgerufen am 30. 10. 2023

Bereich Konsonanten

• Nasalschwund mit Ersatzdehnung

› Schwache Verben
Schon im Germanischen – schwache Verben mit nasaler Stammsilbe, meist n, haben im Präteritum eine gedehnte Form ohne Nasal: bringen → brâhte; denken → dâhte; dünken → dûhte [Hinzu kommt bei diesen Verben auch noch 'Rückumlaut' beim Präteritumsvokal]..

› Starke Verben
Schon im Germanischen – bei starken Verben: anh  → âh: *hanhen → hâhen; *vanhen → vâhen;
Im Präteritum treten dann durch grammatischen Wechsel bzw. Auslautverhärtung die Formen hienc, hiengen; vienc, viengen auf.

• Primärberührungseffekt
Der Primärberührungseffekt mit ‚t‘, betrifft das Präteritum mancher schwacher Verben - und tritt auch bei Präterito-Präsentien im Präteritum auf:

Manche dieser Phänomene treten auch in Kombination auf, teilweise mit weiteren Lautveränderungen:

Beispiele:
Für das mhd. Wort bringen gilt: Das n fällt wegen des Nasalschwundes weg, das h entsteht wegen des Wegfalls des g vor t, also wegen des Primärberührungseffektes: brâhte
Für mhd. denken gilt: Ahd.: dankjan - das j in der Endung bewirkt Umlaut im Präsens: denkjan. Für das mhd. Präteritum von denken gilt
a) sogenannter Rückumlaut [a],
b) Nasalschwund mit Ersatzdehnung [â]- *d
âkte,
c) h statt k wegen Primärberührungseffekt: dâhte

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*)Auf den ersten Blick existiert ein Begriffsdurcheinander: Zunächst ist „Umlaut“ eine Buchstabenbezeichnung, dann eine Lautbezeichnung und schließlich das Ergebnis eines Lautwandels.
Der Wandel von e nach i wird bei wikipedia unter „germanischer i-Umlaut“ verhandelt und gleichzeitig als Hebung bezeichnet, die Senkung bzw. Brechung gilt auch als a-, (e-, o-)Umlaut. Brechung bedeutet aber auch Diphthongierung oder gar Hebung, vgl. „Brechung“ bei Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Bereich Germanistik, abgerufen am 30. 10. 2023. ‚Hebung‘ wiederum bedeutet laut wikipedia eine Lautentwicklung wie /a/ → /e/, /e/ → /i/ oder /o/ → /u/, die also auch den i-Umlaut bewirkt.

**)Die Begriffe "Hebung" und "Senkung" erklären sich durch einen Blick auf das Vokaldreieck: Vokaldreieck
i liegt im Dreieck oben, deshalb kann man sagen, dass e zu i gehoben wird.
o liegt im Dreieck unter u, deshalb kann man sagen, dass u zu o gesenkt wird.
Mehr zu "Vokaldreieck" und "Vokaltrapez" bei wikipedia


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