Grundwissen Grammatik

 

Mittelhochdeutsch zum Nachschlagen und Lernen

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Mit­tel­hoch­deutsch: Verb­ka­te­go­rien

Verbbezeichnungen im Vergleich

Die mittelhochdeutschen Verben verteilen sich in literarischen Texten in etwa wie folgt:


Bezeichnung Mittel­hoch­deutsch Neu­hoch­deutsch
schwaches Verb   z. B. swanken z. B. arbeiten
schwaches Verb mit Rückumlaut   etwa 500 (1), z. B. antwürten, hœren maximal acht Verben mit Rück­um­laut (2): „brennen“, „kennen“, „nennen“, „rennen“, „senden“, „wenden“, „bringen“, „denken“ - deutlich weni­ger als im Mit­tel­hoch­deut­schen.
starkes Verb(3)   ca. 520, z. B. sterben - starp - sturben - gestorben etwa 210, z. B. fahren - fuhr - gefahren - deut­lich weni­ger als im Mit­tel­hoch­deut­schen.
Misch­formen - stark-schwach bringen, beginnen, bûwen, blæjen, dræjen, eischen relativ große Menge, etwa 30: z. B. backen – buk / backte, aber auch hängen – hing / hängte (4) - mehr als im Mit­tel­hoch­deut­schen
Präterito-Präsentia wizzen, eigen, tugen, gunnen, (v)erbunnen, kunnen, durfen, turren, suln, mugen, müezen wissen, können, dürfen, sollen, mögen, müssen - weniger als im Mit­tel­hoch­deut­schen
Modal­verben kunnen, durfen, turren, suln, mugen, müezen, wellen (5) können, dürfen, sollen, mögen, [möchten], müssen, wollen, [brauchen]
Wurzel­verben(6) tuon, gân gên, stân stên, sîn Nur noch in der ge­spro­che­nen Spra­che: „gehn“, „stehn“
unregelmäßige Ver­ben wellen, queden, choden - als "unregelmäßig" könnte man auch die Wurzelverben, einschließlich dem Wort sîn, be­zeich­nen. tun, sein, haben(7),
gehen – ging, stehen – stand,
wollen – will, wollte
wissen - weiß, wusste, gewusst
Kontrahierte Formen   hân, lân … Nur noch in Dia­lekten: z. B. „han“ im heu­ti­gen Bai­risch
Hilfs- und Voll­verben Hilfs­verben - zur Ge­ne­rie­rung des Passivs und zu­sam­men­ge­setz­ter Zeit­for­men, wie z. B. Perfekt, Futur:
„hân“, „sîn“, „werden“, für das Futur können neben „werden“ und „sol(e)n“ auch „wellen“ und „müezen“ verwendet werden.
Voll­verben - alle übrigen Verben, außer den Modalverben.
Hilfs­ver­ben - zur Ge­ne­rie­rung des Pas­sivs und zu­sam­men­ge­setz­ter Zeit­formen, wie z. B. Perfekt, Futur:
haben, sein und wer­den
Voll­ver­ben - alle übrigen Ver­ben, au­ßer den Mo­dal­ver­ben.
Häufig­keit 64 % aller Verbform in li­te­ra­ri­schen Tex­ten sind Wurzel­verben, Präterito-Prä­sentia oder star­ke Ver­ben! Rein schwach, also ohne Rück­umlaut, sind etwa 23 % aller Ver­ben keine Daten vor­han­den
  1. Die Zahlangaben oben beziehen sich auf Verben in ihrer Grundform ohne ihre Ableitungen durch Präfixe: helfen → verhelfen; brennen → abbrennen

  2. Wichtig ist die Kenntnis der „rückumlautenden“ Verben allerdings, will man für eine Präteritumsform den richtigen Infinitiv ermitteln: nhd.: brannte → brennen, dachte → denken; mhd.: ante → enden, zerlæte → zerlegen

  3. Starke Verben* gibt es im Mit­tel­hoch­deut­schen wie im Neuhochdeutschen: Sie ändern in den verschiedenen Tempora ihren Stammvokal (Ablaut) und lassen das Partizip II   auf „-en“ enden. Gelegentlich tritt Umlaut (graben - du gräbst [nhd.] / grebst [mhd.]) oder „e-i“-Wechsel auf (helfen - du hilfst).
    Allerdings ist die Menge der starken Verben im Mit­tel­hoch­deut­schen ungleich größer als im Neuhochdeutschen. In literarischen Texten des Mittelalters sind nur etwa 34 % der Verben schwach, etwa ein Drittel davon sind „rückumlautend“ - ca. 11,5 % aller Verbformen. Wenn ein Verb im Neuhochdeutschen stark ist, dann kann man davon ausgehen, dass es auch im Mittelhochdeutschen stark konjugiert wird.

  4. Hier ist zu unterscheiden zwischen Verben, bei denen ohne Bedeutungsunterschiede starke und schwache Formen nebeneinander existieren (melken – molk, melkte), und solchen, die einen Bedeutungsunterschied aufweisen (schaffen – schuf, schaffte. Das Bild hing an der Wand. Er hängte das Bild an den Haken.).
    Manchmal hat sich auch nur ein starkes Partizip II erhalten, z. B. gesalzen, gehauen, gemahlen.

  5. „wellen“ bzw. „wollen“ ist im Mittel- wie im Neuhochdeutschen ein Modalverb, allerdings gehört es nicht zu den Präterito-Präsentia. Es geht auf alte Optativformen zurück. „wizzen“ gehört zu den Präterito-Präsentia, gilt aber als Voll- und nicht als Modalverb.

  6. Die vier Wurzelverben heißen so, weil bei ihnen im Präsens die Endung direkt an die Wortwurzel angehängt wird. Deshalb sind sie auch einsilbig. Es handelt sich dabei nicht um Kontraktionen, sondern diese Verben hatten auch in Vorstufen des Mittelhochdeutschen eine ähnliche Gestalt.
    Ein gemeinsames Merkmal ist, dass die 1. Person Singular in der Regel auf n endet. Außer bei tuon treten im Präteritum Formen anderer Verbstämme auf: sîn → wesen → was, wâren (AR V); gân → ahd. gangan → gienc, giengen (AR VIIa); stân → ahd. stantan → stuont, stuonden (AR VI).
    Das Präteritum, tet, tâten, von tuon wird durch Reduplikation   gebildet, vgl. lat. pendere pependi.

  7. Während im Mit­tel­hoch­deut­schen „haben“ als schwaches Verb gilt, zu dem es auch kontrahierte Formen gibt, muss man im Neuhochdeutschen bei „haben“ wohl von einem unregelmäßigen Verb sprechen, da sich die kontrahierten Formen teilweise durchgesetzt und mit schwachen Formen gemischt haben. Nicht zuletzt das Imperfekt von „haben“ - „hatte“- und seine umgelauteten Formen im Konjunktiv II -„hätte“, die sich von den kontrahierten Formen ableiten lassen, werden heute nur noch als „unregelmäßig“ empfunden.

Weitere statistische Angaben zum mittelhochdeutschen Verb.

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* Aus der englischen Grammatik ist der Begriff „irregular verbs“ ins Deutsche eingedrungen. Im Englischen bezeichnet dieser Ausdruck meist alle starken Verben, sodass häufig auch im Deutschen für die starken Verben der Begriff „unregelmäßig“ verwendet wird. Allerdings sollte dieser Begriff für die tatsächlich „unregelmäßigen“ Verben reserviert bleiben.


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