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Tuon,  sîn, gân/gên, stân/stên bilden das Präsens durch das unmittelbare Herantreten der Endungen an die Wortwurzel, deshalb  sind sie im Indikativ Präsens auch stets einsilbig. Die 1.  Person Singular Indikativ endet immer auf n.
        
Bei den Wurzelverben  handelt es sich zwar um Kurzverben, aber es liegen keine Kontraktionen   vor. Kontrahierte Verben sind  sekundär gekürzt.
Mit  Ausnahme von tuon gibt es die Wurzelverben nur im Präsens – im Präteritum  und beim Partizip II treten Ersatzformen auf, die auf einer anderen Wortwurzel  basieren.
sîn: Ersatzbasis wesen [Ablautreihe V] ⇒ Präteritum was, wâren,  Partizip II gewesen. 
gân / gên: Ersatzbasis: gangen* [Ablautreihe  VIIa] ⇒  Präteritum gienc, giengen, Partizip II gegangen. 
stân / stên: Ersatzbasis: standen* [Ablautreihe VI]  ⇒  Präteritum stuont, stuonden, Partizip II gestanden.
* Diese Infinitiv- bzw. Präsensformen sind im Mhd. unüblich geworden zugunsten der Wurzelverbformen.
tuon
Präsens Indikativ und Konjunktiv I
| ich | tuon, tuo (selten) | tuo | 
| du | tuost | tuost | 
| er, siu, ez | tuot | tuo | 
| wir | tuon | tuon | 
| ir | tuot | tuot | 
| sie | tuont | tuon | 
Präteritum Indikativ und Konjunktiv II
| ich | tet(e)(1) | tæte | 
| du | tæte | tætest | 
| er, siu, ez | tet(e) | tæte | 
| wir | tâten(2) | tæten | 
| ir | tâtet | tætet | 
| sie | tâten | tæten | 
(1) Das Verb tuon ist eigentlich ein reduplizierendes Verb: Es ist das einzige Verb im Mittelhochdeutschen, das die Reduplikationssilbe teilweise bewahrt hat. Sie besteht hier aus dem stammanlautenden Konsonanten t und dem Reduplikationsvokal e; deshalb lautet die 1./3. Singular Präteritum Indikativ tete, das Endungs-e wird häufig apokopiert .
(2) Zwischen Singular- und Pluralformen im Präteritum tritt ein Wechsel des Stammvokals auf, der weder als Ablaut noch als Umlaut zu beschreiben ist.sîn
Präsens Indikativ und Konjunktiv I
| ich | bin(1) | sî(3) / wese(4) | 
| du | bist(1) | sîst(3) / sîgest / sîest / wesest(4) | 
| er, siu, ez | ist(2) (md. is) | sî(3) / sîge / sîe / wese(4) | 
| wir | birn(1) / sîn(3) (md. sint) | sîn(3) / sîgen / sîen / wesen(4) | 
| ir | birt(1) / sît(3) | sît(3) / sîget / sîet / weset(4) | 
| sie | sint(3) (md. sîn) | sîn(3) / sîgen / sîen / wesen(4) | 
| Partizip II | gewesen(4) / gesîn(3) | 
(1) Die Formen, die mit b beginnen, gehen auf indogermanisch *bheuh- zurück.
(2) Die Form der 3. Person Singular lässt sich auf indogermanisch *es- zurückführen, vgl. lateinisch ,esse'.
(3) Die Formen, die mit s beginnen, sollen auf die indogermanische Schwundstufe aus der Wurzel *es zurückzuführen sein, wobei das e wegfällt und das s bleibt.
(4) Alle Formen, die mit w beginnen, stammen von der Ersatzbasis wesen, s. o.gân / gên und stân /stên
Ob â oder ê bei den Verben gân / gên und stân / stên verwendet wird, ist stark dialektabhängig. Die Formen mit Stammsilben-ê überwiegen im Bairischen, Fränkischen und Mitteldeutschen , die mit Stammsilben-â finden sich hauptsächlich im Alemannischen. Im Konjunktiv finden sich ê-Formen grundsätzlich häufiger.
gân / gên
Präsens Indikativ und Konjunktiv I
| ich | gân/gâ (md. gê(1)) | gê / genge / gange(2) | 
| du | gâst | gêst /gangest | 
| er, siu, ez | gât | gê/ gange | 
| wir | gân | gên/ gangen | 
| ir | gât | gêt/ ganget | 
| sie | gânt | gên/ gangen | 
| [Präteritum / Partizip II]: | auch Wurzelverbform gie statt gienc möglich | auch gegân    / gegên statt gegangen möglich | 
(1) „gê“ tritt häufig im Mitteldeutschen auf
(2) Die zweisilbigen Formen, abgeleitet vom Ersatzbasiswort, kommen im Alemannischen vor.stân / stên
Präsens Indikativ und Konjunktiv I
| ich | stân/stâ | stê / stande(1) | 
| du | stâst | stêst / standes | 
| er, siu, ez | stât | stê / stande | 
| wir | stân | stên / standen | 
| ir | stât | stêt / standet | 
| sie | stânt | stên / standen | 
| [Partizip II]: | gestân / gestên möglich | 
(1) Die zweisilbigen Formen, abgeleitet vom Ersatzbasiswort, kommen im Alemannischen vor.