Grundwissen Grammatik 

Mittelhochdeutsch zum Nachschlagen und Lernen

Schlagwörter, bitte Anfangsbuchstaben eingeben!
Mit­tel­hoch­deutsch: Wur­zel­ver­ben

Wurzelverben

Tuon, sîn, gân/gên, stân/stên bilden das Präsens durch das unmittelbare Herantreten der Endungen an die Wortwurzel, deshalb sind sie im Indikativ Präsens auch stets einsilbig. Die 1. Person Singular Indikativ endet immer auf n.

Bei den Wurzelverben handelt es sich zwar um Kurzverben, aber es liegen keine Kontraktionen   vor. Kontrahierte Verben sind sekundär gekürzt.

Mit Ausnahme von tuon gibt es die Wurzelverben nur im Präsens – im Präteritum und beim Partizip II treten Ersatzformen auf, die auf einer anderen Wortwurzel basieren.
sîn: Ersatzbasis wesen [Ablautreihe V] ⇒ Präteritum was, wâren, Partizip II gewesen.
gân / gên: Ersatzbasis: gangen* [Ablautreihe VIIa] ⇒ Präteritum gienc, giengen, Partizip II gegangen.
stân / stên: Ersatzbasis: standen* [Ablautreihe VI] ⇒ Präteritum stuont, stuonden, Partizip II gestanden.

* Diese Infinitiv- bzw. Präsensformen sind im Mhd. unüblich geworden zugunsten der Wurzelverbformen.

tuon
Präsens Indikativ und Konjunktiv I

ich tuon, tuo (selten) tuo
du tuost tuost
er, siu, ez tuot tuo
wir tuon tuon
ir tuot tuot
sie tuont tuon

Präteritum Indikativ und Konjunktiv II

ich tet(e)(1) tæte
du tæte tætest
er, siu, ez tet(e) tæte
wir tâten(2) tæten
ir tâtet tætet
sie tâten tæten

(1) Das Verb tuon ist eigentlich ein reduplizierendes   Verb: Es ist das einzige Verb im Mittelhochdeutschen, das die Reduplikationssilbe teilweise bewahrt hat. Sie besteht hier aus dem stammanlautenden Konsonanten t und dem Reduplikationsvokal e; deshalb lautet die 1./3. Singular Präteritum Indikativ tete, das Endungs-e wird häufig apokopiert   .
(2) Zwischen Singular- und Pluralformen im Präteritum tritt ein Wechsel des Stammvokals auf, der weder als Ablaut   noch als Umlaut   zu beschreiben ist.

sîn
Präsens Indikativ und Konjunktiv I

ich bin(1) sî(3) / wese(4)
du bist(1) sîst(3) / sîgest / sîest / wesest(4)
er, siu, ez ist(2) (md. is) sî(3) / sîge / sîe / wese(4)
wir birn(1) / sîn(3) (md. sint) sîn(3) / sîgen / sîen / wesen(4)
ir birt(1) / sît(3) sît(3) / sîget / sîet / weset(4)
sie sint(3) (md. sîn) sîn(3) / sîgen / sîen / wesen(4)
Partizip II gewesen(4) / gesîn(3)

(1) Die Formen, die mit b beginnen, gehen auf indogermanisch *bheuh- zurück.
(2) Die Form der 3. Person Singular lässt sich auf indogermanisch *es- zurückführen, vgl. lateinisch ,esse'.
(3) Die Formen, die mit s beginnen, sollen auf die indogermanische Schwundstufe aus der Wurzel *es zurückzuführen sein, wobei das e wegfällt und das s bleibt.
(4) Alle Formen, die mit w beginnen, stammen von der Ersatzbasis wesen, s. o.

gân / gên und stân /stên

Ob â oder ê bei den Verben gân / gên und stân / stên verwendet wird, ist stark dialektabhängig. Die Formen mit Stammsilben-ê überwiegen im Bairischen, Fränkischen und Mitteldeutschen  , die mit Stammsilben-â finden sich hauptsächlich im Alemannischen. Im Konjunktiv finden sich ê-Formen grundsätzlich häufiger.

gân / gên

Präsens Indikativ und Konjunktiv I

ich gân/gâ (md. gê(1)) gê / genge / gange(2)
du gâst gêst /gangest
er, siu, ez gât gê/ gange
wir gân gên/ gangen
ir gât gêt/ ganget
sie gânt gên/ gangen
[Präteritum / Partizip II]: auch Wurzelverbform
gie statt gienc möglich
auch gegân / gegên
statt gegangen möglich

(1) „gê“ tritt häufig im Mitteldeutschen auf
(2) Die zweisilbigen Formen, abgeleitet vom Ersatzbasiswort, kommen im Alemannischen vor.

stân / stên
Präsens Indikativ und Konjunktiv I

ich stân/stâ stê / stande(1)
du stâst stêst / standes
er, siu, ez stât stê / stande
wir stân stên / standen
ir stât stêt / standet
sie stânt stên / standen
[Partizip II]: gestân / gestên möglich

(1) Die zweisilbigen Formen, abgeleitet vom Ersatzbasiswort, kommen im Alemannischen vor.

 


Startseite